September, 2008


Zwei Meister und Pioniere des Escrima

Der Weg führt vom Trainingsraum im Schloss Langenzell über Treppen und Torbögen hinaus ins Freie. Das Ziel ist eine Treppe die im warmen Abendlicht liegt. Die beiden Meister des Escrima, Bernd Hoyer (5. Grad) und Thomas Dietrich (5. Grad) sind bestens gelaunt und nutzen bereits vor dem Interview jede Gelegenheit für einen passenden Scherz.

WTW: Herzlichen Glückwunsch zum 5. Grad im Newman-Escrima. Wie war für euch der Weg von euren Anfängen bis heute?

Thomas: Ich betreibe Escrima seit 26 Jahren und kann sagen, dass es ein sehr spannender Weg gewesen ist. Ich mag es spannende Dinge zu machen und das war es definitiv. Und zwar nicht nur Jahr für Jahr sondern auch Woche für Woche.

Bernd: Ich betreibe Escrima seit 14 Jahren. Bereits nach den ersten dreißig Minuten habe ich gewusst, dass es genau das ist was ich machen will. Es war von Anfang an Liebe und bei mir ist es sogar heute noch so, dass ich einschlafe mit dem letzten Gedanken ans Escrima und aufwache mit dem ersten Gedanken ans Escrima. Ich betreibe Escrima zwar nicht hauptberuflich dennoch war es eine schöne, eine aufregende und manchmal stressige Zeit. Teilweise auch nervenaufreibend.

Thomas: Warum guckst du mich jetzt dabei an? (Beide schauen sich amüsiert an und lachen herzlich. Eine herzliche Verbindung zwischen beiden Meistern ist deutlich zu spüren.)

WTW: 26 Jahre sind eine lange Zeit. Wie war die Zusammenarbeit mit René Latosa?

Thomas: Großmeister Bill Newman hat uns auf Lehrgänge, die René Latosa gegeben hat, vorbereitet. Er hat versucht uns das Rüstzeug zu geben und somit bestand die Zusammenarbeit mit René lediglich darin, dass er an irgendeiner Stelle kleine Verbesserung vornahm. Zu Großmeister Bill Newman habe ich eine ganze andere Beziehung, was nicht nur daran liegt, dass ich ihn mehrmals im Jahr sehe. Es sind besonders die Diskussionen nach dem Training, in denen man die enge Beziehung sehr deutlich spürt und intensiv wahrnimmt.

Bernd: Die Lehrgänge, die Großmeister René Latosa gegeben hat, waren sehr auf den Stock ausgelegt. Das Escrima das ich gelernt habe, also das Escrima, das Großmeister Bill mir vermittelt, war und ist klingenorientiert und übertragbar auf den Stock. Nicht umgekehrt.

WTW: Was sind die Themen im Anschluss des Trainings?

Thomas: Man setzt sich mit dem Escrima auseinander, dass nicht nur in der Trainingsstätte stattfindet, sondern auch wie man es zwischenmenschlich oder im Beruf anwendet. Man verinnerlicht Escrima. Man lebt das Escrima genauso wie jeder Wing Tsun Meister auch. Man lernt das Nachgeben und nicht das Dagegen gehen. Allerdings auch das sich aufbauen vor jemanden, wenn es unbedingt sein muss. Die Grundsätze des Escrima setze ich auch in der Firma und in der Familie ein. Dabei ist Bill Newman ganz klar meine Leitfigur und hat für mich auf eine gewisse Weise eine Vaterähnliche Rolle. Alle anderen haben mir nicht wirklich ein Stückchen weitergeholfen, ausgenommen meine Freunde und Trainingspartner. Die sind mir ganz besonders wichtig.

Bernd: Wie Thomas es schon gesagt hat ist der mentale Aspekt sehr wichtig. Ich habe mich in meiner Firma vom Akkordarbeiter zum stellvertretenden Abteilungsleiter hochgearbeitet und das ohne jemanden verbal oder körperlich zu bedrohen, sondern allein durch mein Auftreten. Durch meine Art zielorientiert vorzugehen. Das ist pures Escrima indem man seinen Fokus auf ein Ziel legt und sich dann darauf konzentriert dieses Ziel zu erreichen. Ich habe mir Pläne gemacht und darauf dann meine Strategie aufgebaut um meine Ziele zu erreichen. In der Industrie und besonders auf Meetings um ein Beispiel zu nennen, ist es wie eine Schlacht. Es wird versucht jemanden rhetorisch zu besiegen. Durch das Escrima habe ich mich gerade in hitzigen Situationen unter Kontrolle. Selbst wenn ich manchmal sehr aufgebracht bin denke ich ans Escrima und werde sofort ruhig ohne im Meeting ausfallend oder unsachlich zu werden. Ohne Escrima hätte ich das sicherlich nicht geschafft.

WTW: Seit ihr Freunde oder ist es eine reine Trainingsbeziehung?

Bernd: Das ist ein lange Geschichte. Ich habe den 4. Schülergrad gemacht. Auf der Prüfung habe ich das erste mal Sifu Thomas Dietrich kennen gelernt und heute Meister Thomas Dietrich. (zwinkert Thomas zu). Er war mir sofort sympathisch und wir haben beide gleich eine Wellenlänge gehabt. Von der Art Humor und vom Denken hat es einfach gepasst. Und dann habe ich ihn jahrelang aus den Augen verloren. Mein Lehrer Sifu Tihomir Kolar wusste leider auch nicht wo ich ihn finden konnte. Ich stand ein paar Jahre später auf einem Lehrgang draußen vor der Halle in Frankfurt und Thomas kam um die Ecke und hat mich angeschaut. Wir haben uns beide angesehen und uns riesig gefreut. Und von da an haben wir den Kontakt nicht mehr verloren. Aus dem Lehrer- Schülerverhältnis, was ursprünglich bestand hat sich eine Freundschaft und natürlich Trainingsbeziehung entwickelt.

(Eine Freundschaft die deutlich zu erkennen ist und sich in angenehmer Selbstironie und viel Charme und Witz ausdrückt.)

WTW: Wie beurteilt ihr die Richtung die das Escrima eingeschlagen hat?

Bernd: Die Richtung ist genau die Richtige. Ich kann mir nichts besseres vorstellen. Großmeister Bill Newman hat genau den richtigen Weg eingeschlagen. Die ganze Art und Weise wie er unterrichtet, was er unterrichtet, wie er Dinge zusammenfasst. Einfach klasse. Etwas besseres hätte dem Escrima, so wie es sich letztlich zum Newman Escrima entwickelt hat nicht passieren können.

WTW: Wie trainiert ein Escrima Meister? Wie muss man sich das vorstellen?

Thomas: Wir trainieren genau die gleichen Dinge wie andere z.B. auf einem Lehrgang auch trainieren. In den ersten drei Schülergraden lernst du dein Basiszeug und alles andere was du machst verbessert genau diese drei Programme. Und nicht ein kleines Stück anders. Das natürlich umgesetzt auf unterschiedliche Waffen, die unterschiedliche Distanzen beinhalten und somit eine andere Einstellung zum Kampf. Die Einstellung zum Kampf im Escrima ist grundsätzlich eine andere. Jeder hat seine Vorlieben. Ich kann z.B. nicht das schwere Schwert führen, dass Bernd führt.

Bernd: Dafür kann ich mich nicht so schnell bewegen wie Thomas.

Thomas: Aus diesem Grund ergänzen wir uns beide so gut. Wir sind gute Freunde, aber wenn wir zusammen trainieren dann nicht.

Bernd: Nein! Dann nicht!

Thomas: Dann kann es auch sein, dass wir im Gesicht ganz weiß werden. Das war ganz extrem das letzte Mal in Lübeck. Das hat eine viertel Stunde gedauert, dann hatten wir zwei eine gute Stunde Pause. Wir wussten nicht mehr wie wir Luft kriegen sollten. Aber wir haben nichts anderes gemacht als alle anderen auf diesem Lehrgang auch.

WTW: Findet euer Austausch überwiegend auf theoretischer oder rein praktischer Ebene statt?

Bernd: Ohne Theorie geht keine Praxis und ohne Praxis geht keine Theorie. Das läuft ineinander wie ein Getriebe. Mein Training war früher sehr praxisorientiert. Ich habe sieben Tage die Woche eineinhalb Stunden trainiert. Irgendwann habe ich angefangen weniger Praxis zu trainieren und habe mir einen Block genommen, Stifte und Geodreieck und habe versucht Escrima geometrisch für mich begreifbar zu machen. Ich bin von Beruf Maschinenbautechniker was sehr praxisorientiert ist. Wenn ich mir etwas geometrisch habe erklären können, habe ich es begriffen. Zum Beispiel die "V" Theorie. Wieso funktioniert das? Und mitterlweile habe ich mein Praxistraining, leider sehr stark verringert, weil ich keine Trainingspartner habe. Wenn ich die Chance habe mich mit Thomas zu treffen und wir die Chance haben uns für zehn Minuten zurückzuziehen trainieren wir intensiv. Diese zehn Minuten sind so intensiv, dass es mir für zwei oder drei Monate reicht. Er zeigt mir meine Lücken, die ich selbst nicht mehr erkenne. Die meine Schüler und ich habe wirklich gute Schüler, wie z.B. Sascha Böhringer (4.TG) oder Falk Welker (3.TG) nicht erkennen. Aber Thomas erkennt sie und er zeigt sie mir. Meister Bill zeigt sie mir auch, aber er zeigt sie mir so schnell die kriegst du nicht mit (lacht).

WTW: Was macht für euch die Faszination Escrima aus?

Bernd: Meister Bill hat so ein perfektes Timing, er geht genau dahin wo du ihn nicht haben willst und macht genau das was du nicht willst, dass er das macht. Und das ist das Schöne. Für mich ist das Thema Kämpfen Geschichte. Ich habe eine Phase gehabt, da wollte ich trainieren und kämpfen. Mittlerweile will ich ehrlich gesagt nicht mehr kämpfen. Ich habe soviel gemacht und erlebt. Ich habe elf Jahre an der Tür gearbeitet. Ich habe genug gekämpft in meinem Leben! Was mir Spaß macht, ist das Erkennen eines gegnerischen Angriffs und diesen dann im Keim zu ersticken. Mein Gegenüber will mich angreifen und ich erkenne es bevor er es macht und ich mache meine Gegenattacke. Er bricht mental zusammen und hat keine Lust mehr mich anzugreifen. Das fasziniert mich. Ich gehe auf die Jagd, nichts anderes!

Thomas: Die Faszination macht für mich aus, dass man ständig neue Facetten erfährt. Egal wie man es immer nennt, ob man es Wing Tsun, Escrima oder sonst wie nennt. Mit jeder Trainingsstunde die ich mache, lerne ich irgendwo eine neue Schwäche an mir selbst kennen. Und ich brauche Ewigkeiten um diese Schwäche zu beseitigen. Und in der Zeit in der ich diese Schwäche beseitige, habe ich schon wieder fünf neue Schwächen an mir selbst festgestellt. Und nur dadurch, dass ich es tue und es zulasse mit jedem x- beliebigen zu trainieren. Ohne daran zu denken wer gewinnt oder verliert sondern anhand von Bewegungen analysieren zu können. Wer hätte jetzt eigentlich die Oberhand gehabt? Wer steht strategisch besser, wer schlechter? Woran hat es gelegen, dass ich strategisch schlechter stehe? Das ist das was mich absolut fasziniert. Ähnlich wie es in jeder anderen Kampfkunst auch ein Schachspiel ist. Immer wieder die weißen Pferdchen zu erobern und die weiße Farbe zu erobern, dass ist es was mich so fasziniert.

WTW: Was würdet ihr Jugendlichen die sich für Escrima interessieren raten?

Bernd: Ich nehme keine Schüler unter achtzehn. Mein Neffe ist jetzt dreizehn und ich liebe ihn abgöttisch, ich habe ihm noch nie etwas gezeigt. Und werde ich auch nicht tun, weil die Jungen nicht gefestigt sind. In ihrer Psyche nicht gefestigt genug um Escrima zu verinnerlichen oder dabei zu bleiben, dass sind die Wenigsten. Mir ist es einfach zu gefährlich. Denn wenn er es verstanden hat, wie Escrima funktioniert ist es egal was jemand in der Hand hält. Ich bin begeistert vom Ballet! Ich wollte früher immer zum Ballet gehen. Nur wegen der Körpermotorik. Die Beherrschung vom Körper. Ich bin dann ins Ringen übergegangen, denn Ballet gab es bei mir nicht.

Thomas: Bernd ich stelle mir da gerade sowas vor. So etwas in rosarot. (lacht)

Bernd: (Bernd beginnt ebenfalls zu lachen) Ja genau. Ich als der sterbende Schwan, das wär es doch. Ich finde solche Bewegungsarten wie z.B. Ballet viel wichtiger für Jugendliche. Bewegungsarten bei denen man lernt seinen Körper zu kontrollieren.

Thomas: Es gibt schon Ansätze um über Escrima und Jugendliche nachzudenken, doch da muss man ganz klar differenzieren, was man mit den Kindern und Jugendlichen macht. Es gebe die Möglichkeit die Essenz, nämlich die Selbstverteidigung, ähnlich wie im Kids Wing Tsun rauszunehmen und eine Lebensschule einbauen. Genauso müsste es im Escrima auch sein. Ich sehe immer wieder bei uns in der Nachbarschaft drei Bengel die sich mit Holzschwertern hauen. Dass ist die wahre Pracht. Ich denke jeden Moment muss das Krachen und knallen, doch meistens geht es gut. Ich stelle mir da die Frage:" Kann ich den Kindern irgendwas vermitteln, um sie zu einem einigermaßen vernünftigen Bewegungsgefühl zu bringen? Das mit dem Schwert wild schlagen ist das gefährliche. Wie kann ich den Kindern beibringen ohne die Selbstverteidigungsgedanken zu betonen, ohne diese Essenz des "Siegen-Wollens" zu betonen , ganz einfach eine kleine Lebensschule daraus machen? Denn Motorik kann absolut nicht schaden. Diese Frage werde ich definitiv irgendwann aufgreifen.

WTW: Wie begegnet ihr Menschen für die Escrima uninteressant ist, weil sie von sich sagen das nicht ständig bewaffnet sind?

Thomas: Jeder der eine Wohnung hat, hat einen Schlüssel um in die Wohnung zu kommen. Somit ist man nicht mehr wirklich unbewaffnet. Fast jeder hat einen Gürtel in der Hose, einen Kugelschreiber. Welche Frau geht ohne Tasche außer Haus? Dann bin ich nicht mehr waffenlos. Und wenn ich absolut gar nichts mehr dabei habe, habe ich immer noch meine Hände.

WTW: Entwickelt Großmeister Bill das Escrima weiter oder geht schon bereits Verantwortung auf euch beide über?

Bernd: Sowohl als auch. Master Bill ist absolut motiviert und macht weiter. Wenn Escrima stehen bleiben würde, wäre es ein totes System. Er macht weiter bezieht uns beide aber stark mit ein, weil er weiß, dass ich Sachen kann die Thomas nicht kann und umgekehrt. Wir erarbeiten unseren Weg und stellen ihm die Ergebnisse dann vor. Meister Bill testet dann die Dinge mit und an uns. Und wenn er sagt, dass er damit zufrieden ist führen wir es ein.

Thomas: Aber nach wie vor muss man natürlich dazu sagen, das alles was wir irgendwo testen, alles was wir irgendwo versuchen einzubringen von ihm haben. Es ist also nichts was von uns beiden kommt sondern irgendwo an irgendeiner Stelle hat er uns was gezeigt. Das greifen wir auf und versuchen das zu analysieren und auszubauen. Und das ist der ganz wichtige Punkt. Alles haben wir von Großmeister Bill Newman. Und Großmeister Bill im Endeffekt auch wieder von seinen Lehrern usw. Jeder Kampf ist gekämpft und das Rad wird nicht neu erfunden. Man muss nur das Glück haben die Erklärungen von jemanden zu bekommen der sie einem nahe bringen kann. Jemanden der einem dieses Rad genau erklärt. Und wenn man das geschafft hat ist es im Prinzip egal was man macht, denn alles hat irgendwo was gleiches. Und wer meint das es beim Escrima den harten und massiven Block gibt oder eine riesige körperliche Kollision, der liegt vollkommen falsch! Auch im Escrima geht es weich. Einhundertprozentig.

WTW: Vielen Dank für das herzliche Interview und ich hoffe, dass wir alle noch viel Spaß am Escrima haben werden.

Bernd und Thomas: Wir zwei mit Sicherheit.


GM Bill mit seinen beiden Meisterschülern